Friedrich Schmidt

Putins Lukaschenka-Dilemma: „Mit euren Steuern wird unsere Verprügelung bezahlt“

von befla

Manche Russen reut ihr Eintreten für das Minsker Regime. Am vorvergangenen Wochenende stellte die Schauspielerin Jekaterina Schmakowa in einer Comedyshow des Kreml-Fernsehens eine „Wutbürgerin von Belarus“ dar. In belarussisch-traditionell gemusterter Bluse, die weiß-rot-weiße Flagge der Protestbewegung auf der Wange, skandierte Schmakowa Widerstandsparolen und sagte, dass sie für Geld Demonstrationen gegen „kleine Brüste“ besuche. Das sollte nicht nur unterhalten: Die von der Schauspielerin verkörperte Karikatur fügt sich in die Propagandadarstellung der Demonstranten als naiv, lächerlich und käuflich ein. Nach Empörung unter Zuschauern in beiden Ländern beteuerte Schmakowa in einem Facebook-Post unter Tränen, sie schäme sich für die Rolle und bat „alle Bewohner von Belarus“ um Verzeihung.

In Belarus selbst helfen seit bald einem Monat russische Staatsmedienmitarbeiter mit, die Demonstranten als gewaltbereite Handlanger westlicher Aggressoren darzustellen. Diktator Alexandr Lukaschenka hat sich mehrmals für die Rolle der Gäste bedankt, so beim russischen Botschafter in Minsk und beim Staatssender RT (früher Russia Today). Laut einer Mitteilung des Senders vom vergangenen Donnerstag „beraten“ 32 RT-Mitarbeiter vor Ort das belarussische Staatsfernsehen, das durch Streiks und Kündigungen geschwächt ist. Lukaschenkas Sender hatten gegen Ende der ersten Protestwoche nach der Präsidentenwahl begonnen, Bilder der Demonstranten zu zeigen, verhalten, aber ohne Hetze. Das „Tauwetter“ endete laut dem exilrussischen Newsportal „Medusa“ mit der Ankunft der Russen, die begannen, gegen ein „russophobes Programm der Opposition“ aufzuwiegeln.

„Nicht prorussisch und nicht antirussisch“

Vergessen war nun, dass Lukaschenka den Wahlkampf noch mit einer russischen Bedrohung für Belarus bestritten hatte. Laut dem Bericht zeichnen jetzt russische „Experten“ im belarussischen Staatsfernsehen das aus der russischen Staatspropaganda bekannte Bild einer „Festung“, in der Belarus gemeinsam mit Russland „belagert“ sei. Moskaus Eintreten für Lukaschenka kommt in der Protestbewegung schlecht an. Beispielhaft dafür stehen Äußerungen von Swetlana Tichanowskaja, die den Sieg in der Präsidentenwahl beansprucht und vom Regime nach Litauen gezwungen wurde. Für sie war Russland lange Zeit kein Thema, sie äußerte sich zurückhaltend. Als Lukaschenka begann, der Protestbewegung antirussische Ziele zu unterstellen, sagte Tichanowskaja in einer Botschaft an das Europäische Parlament, „die Revolution in Belarus ist nicht geopolitisch. Sie ist nicht prorussisch und nicht antirussisch.“ Es gehe nicht um eine Umorientierung Richtung EU, sondern um freie Wahlen.

Vertreter des von Tichanowskaja gegründeten Koordinationsrats (die nun in Haft oder in Polen exiliert sind) sprachen sich für eine Vermittlung Russlands und der EU aus. Denn obwohl die Lukaschenka-Gegner den geopolitischen Kontext kleinredeten, kollidieren in Belarus zwei Systeme: einerseits Moskauer Autoritarismus, Macht- und Interessenpolitik, andererseits westliche Konzepte von Demokratie, Menschenrechten und Souveränität.

Präsident Wladimir Putin hat Lukaschenka sofort nach der Verkündung offizieller Wahlergebnisse gratuliert; einen Sturz des Machthabers durch die Proteste will er nun nicht hinnehmen, auch aus Sorge, das Beispiel könne auf Russland abfärben. Tichanowskaja rief Moskau mehrmals zur Achtung der belarussischen Souveränität auf. Vorige Woche wandte sie sich direkt mit einer Videobotschaft an die Russen und forderte sie auf, „Propagandamedien und Politikern“ nicht zu glauben, die der Protestbewegung einen „Kampf gegen Russland“ unterstellten.

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